„Homeoffice am Strand“: Eine blendende Dokumentation!
Eine digitale Nomadin mit Laptop auf dem Schoss unterrichtet Deutsch via Video-Call mit Blick auf Meer und Sonne. Ein anderer schlürft einen Cocktail im nebelverhangenen thailändischen Urwald, während er einen Onlinekurs bearbeitet. Arbeiten, wo andere Ferien machen. Was steckt hinter diesen Klischee-Bildern?
Sybille Smolka, freie Fernsehautorin mit fast 20 Jahren Erfahrung, wirft in ihrer Dokumentation „Homeoffice am Strand“ einen genaueren Blick auf hipe digitale Nomaden. Die Vollblut Journalistin ist spezialisiert auf Dokumentationen und will kritisch hinter die Fassaden der perfekten Instagram-Stories der Nomaden schauen. Gelingt ihr das?
Ihr Ansatz ist gut: Anstatt auf die am besten sichtbaren, Social Media gewandten digitale Nomaden anfangs zwanzig zu fokussieren, versucht sie „verschiedene Phasen des Nomadenlebens“ zu beleuchten. Sie zeigt, dass das digitale Nomadentum nicht nur eine Modeerscheinung junger Reisender, die dank Mini-Job ein paar Monate oder Jahre im billigen Südostasien verbringen, ist.
Zu den porträtierten Weltenbummler zählt nämlich auch eine alleinerziehende Frau (43) mit Kind (7) und ein Paar mit Baby. Das ist spannend. Frau und Kind steigen in ihren Van und fahren los. In Griechenland campen sie am Strand. Das Kind spielend im Sand, die Mutter stellt einen Internetsignal-Verstärker auf den Van und fängt an, Deutsch zu unterrichten. Vierzig Euro pro Stunde, vier Stunden am Tag bei 1500 Euro Lebenskosten im Monat. Sie campen immer wild und kochen selber.
Alle porträtierten digitalen Nomaden kommen immer wieder auf den selben Begriff zurück: Freiheit! Die Dokumentation widmet sich vordergründig einer neuen Arbeitsweise, die an sich schon sehr interessant ist. Noch spannender ist aber die darunter liegende Sinnfrage. Weshalb gibt das Paar mit Baby ihre sicheren Jobs auf und setzt sich bewusst der Ungewissheit aus? Die Bewegung der digitalen Nomaden scheint stark von der Unzufriedenheit der heimischen Arbeitswelt geprägt zu sein: Fixe Arbeitszeiten, blöde Chefs, kurze Ferien, sinnlose Inhalte. Lieber frei und selbstbestimmt in der Unsicherheit, als gefangen im goldenen Käfig, so der Tenor.
Irgendwie nerven sie aber auch, die digitalen Nomaden, und man wird das Gefühl nicht los, dass ihr Leben, doch nicht ganz so makellos ist, wie es scheint. Oder ist das nur der Neid der Zurückgebliebenen? Die Filmemacherin stellt zwar interessante Fragen, doch wirklich kritisch wird sie nicht. Verdienen die Nomaden-Eltern wirklich mehr als vorher in gut bezahlten Jobs als Betriebswirte? Hier verlässt sich der Film auf Eigenangaben. Müsste man bei Profis der Selbstdarstellung nicht kritischer sein? Auch andere heikle, aber interessante Fragen bleiben unbeantwortet: ist es legitim und legal in Kanada Steuern zu zahlen und in Thailand zu leben? Wie kommt ein Siebenjähriger mit dem Nomadenleben zu Recht?
Die Dokumentation macht Lust auf neue Lebensstile und fasziniert. Sie bleibt manchmal aber an der Oberfläche der Klischeebilder hängen. So fragt man sich, wie lange es die digitale Nomadin am Strand in praller Sonne am Laptop aushält. Blendet’s nicht ein bisschen zu fest? Oder anders gefragt: wird in der Doku der Zuschauer nicht ein bisschen geblendet? „Homeoffice am Strand“ ist trotzdem sehenswert. Mit kritischem Blick – und Sonnenbrille auf.
Die Dokumentation „Homeoffice am Strand“ wurde von Sybille Smolka produziert. Sie ist beim ZDF online verfügbar und wurde am 28.06.2022 veröffentlicht.
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